Basilikata; unbekanntes Italien..

Die Basilikata. Eine Region reich an Kultur-, Geschichts- und Naturschätzen; ein Land mit Bergen, Seen, Steppen, Canyons, Flüssen. Hierher kommt man nicht zufällig. Für diesen unbekannten Flecken Italiens entscheidet sich nur, wer Lust auf ganz andere Erfahrungen hat. 

Die Basilikata, eingebettet zwischen Apulien, Kampanien und Kalabrien, ist in dieser Grössenordnung die noch ursprünglichste Region Italiens. Hier hat der Tourismus erst in den letzten Jahren zaghaft eingesetzt. Sie gehört zu Italiens unentdecktem Mezzogiorno, den vergessenen Regionen im Süden, und war lange Zeit ein Landstrich, auf dem sich alle grossen Probleme dieses Teils von Italien zu konzentrieren schienen.

Von zwei Meeren umschlossen, mit über 2000 Meter hohen Gipfeln bergig im Innern, hügelig im Osten und auf einem kurzen Stück flach im Süd-Osten, ist die Basilikata über weite Strecken eine fast menschenleere Region. Von den gut 600 000 Einwohnern lebt rund die Hälfte in den beiden Provinzhauptstädten Potenza und Matera. Die landschaftliche Schönheit, die vielfältige Fauna und Flora, die sichtbaren Spuren der menschlichen Zivilisation bis in die Urzeit und die traditionelle mediterrane Küche treffen den Geschmack des vielseitig interessierten Individualreisenden. 

 

Weltberühmt: Matera und ihre Sassi 

Wer die Basilikata als Reiseziel wählt, tut gut daran, ein paar Tage in Matera einzuplanen. Die Stadt, an der Grenze zu Apulien liegend, ist berühmt für ihre aussergewöhnlichen Höhlensiedlungen «I Sassi di Matera», die 1993 von der UNESCO als Weltkulturerbe unter Schutz gestellt wurden. Die Erkundung dieses geschichtsträchtigen Ortes gleicht einer Reise in vergangene Jahrhunderte. Verständlich, dass die überwältigende Szenerie Materas immer wieder als Kulisse für zahlreiche Filme ausgewählt wurde. Der älteste Bereich der Stadt, die Civita mit dem romanischen Dom, liegt einer natürlichen Festung gleich, mitten im Herzen der Stadt. Auf einem Hügel thronend, fällt von dort der Blick auf die beiden tiefer liegenden Sassi-Viertel, dem Sasso Barisano und dem Sasso Caveoso. 

 

Die Sassi sind in ihrer Art weltweit einzigartig. Ein mystischer Ort, in dem sich Raum und Zeit vermischen. Ein Labyrinth aus Höhlenhäusern, Gängen, Treppen, Brunnen, Gassen, Felsenkirchen und Grotten. Ein Irrgarten, in dem man sich gefahrlos verlaufen kann. Erste menschliche Spuren reichen bis in die Altsteinzeit; die ersten Siedlungen entstanden in der Zeit zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert v. Christus. 2000 Jahre später, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, entstanden die Sassi. Die wechselnden Bewohner aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten hinterliessen im Laufe der Jahrhunderte ein einzigartiges Wohnsystem. 

 

Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert wurden die Sassi im Zuge der übrigen Stadtentwicklung immer mehr zum Armenviertel von Matera. Die katastrophalen hygienischen Lebensbedingungen der Sassi-Bewohner bewog die Regierung in den 1950er-Jahren, die Menschen unter Zwang umzusiedeln. Das lesenswerte Buch «Christus kam nur bis Eboli» von Carlo Levi gilt als pointierteste

literarische Beschreibung der damaligen Situation des Mezzogiorno. Es ist eine leidenschaftliche und ehrliche Schilderung des arm und rückständig gebliebenen Südens. Die Sassi blieben in der Folge ungenutzt und zerfielen langsam. Erst durch die Anerkennung als Weltkulturerbe durch die UNESCO, wurden sich die Materaner ihrer Verantwortung und des touristisch nutzbaren Wertes bewusst. Viele Höhlenwohnungen wurden seither renoviert. Hotels, Museen, Bars, Restaurants und Shops folgten und sind heute Teil der touristischen Entwicklung der Stadt.  

Die Rötelfalken von Matera

Matera ist aber nicht nur eine historisch bedeutsame Stadt, sie ist gleichzeitig auch ein ornithologischer Hotspot. Hier befindet sich die vermutlich grösste Rötelfalkenkolonie Italiens; eine Attraktion erster Güte! Wenn Ende März, anfangs April die Rötelfalken unverpaart aus ihrem afrikanischen Winterquartier zurückkehren, versuchen die Männchen in der Nähe eines möglichen Brutplatzes die Weibchen mit ihren Schauflügen zu beeindrucken – ein Schauspiel, dem man sich kaum entziehen kann. Zusammen mit Hunderten von Mauer- und Fahlseglern prägen die Falken zu gewissen Tageszeiten den Himmel über der Stadt. Jeweils anfangs Mai erfolgen in den fünf wichtigsten Kolonien Apuliens und der Basilikata koordinierte Schlafplatz-Zählungen. Für Matera ergab sich im Jahr 2013 die beeindruckende Zahl von 2600 Rötelfalken. Ein ermutigendes Resultat für eine weltweit als gefährdet eingestufte Vogelart.

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Vielfältige Landschaften, hohe Artenvielfalt 

Die landschaftliche Vielfalt der Basilikata spiegelt sich im Artenreichtum von Flora und Fauna wieder. Mehrere Regionalparks beherbergen seltene Pflanzen und Tiere. 245 Vogelarten sind in der Basilikata nachgewiesen und auch die Artenvielfalt der übrigen Tierwelt ist beachtlich. Weiträumig unberührte Gebiete bieten unter anderem dem Apennin-Wolf (Canis lupus italicus) und der Wildkatze ungestörten Lebensraum; in den Flusstälern verraten Spuren des Fischotters seine Anwesenheit. Der Pflanzenreichtum ist in gewissen Höhenlagen bedeutend; allein gegen 40 Orchideenarten erfreuen im Frühling nicht nur Botaniker. 

 

Direkt vor den Toren der Stadt Matera dehnt sich der mehr als 6000 Hektaren grosse Parco della Murgia Materano aus. Ein Hochplateau, das von einem bis zu 100 Meter tiefen und über 20 Kilometer langen Canyon geteilt wird. Mit seinen natürlichen und historischen Besonderheiten ist dieser Park einzigartig und gehört zu den spektakulärsten Felslandschaften Italiens. In den Pseudosteppen der Hochebenen lassen sich Kalander- und Haubenlerche, Rotkopf- und Schwarzstirnwürger finden, während auf Wanderungen in und entlang der Schlucht Blaumerle, Steinrötel und Mittelmeersteinschmätzer zu entdecken sind. Die Seltenheiten dieses Habitats sind Schwarzstorch, Rötelschwalbe und insbesondere der sehr seltene Lannerfalke (Falco biarmicus). Der Lanner ist Brutvogel im Park, 2013 hat er erfolgreich in einem alten Schwarzstorchhorst gebrütet.

Der westlich von Matera gelegene Parco Regionale di Gallipoli Cognato Piccole Dolomiti Lucane zeichnet sich durch eindrückliche Eichenmischwälder und bizzarre Felsformationen aus. Auf einer Fläche von 27 000 Hektaren stehen in diesem hügeligen Gebiet schönste ursprüngliche Wälder unter Schutz. Auf markierten Wegen lassen sich diese durchstreifen, um Arten wie Halsband- schnäpper, Mittel- und Kleinspecht aufzuspüren. In einem kleinen Museum vermittelt die Parkverwaltung Informationen zum Gebiet, das angegliederte Restaurant lädt zu leckeren Antipasti ein. Ein Abstecher in das Dorf Calciano lohnt sich insofern, als dass sich dort sehr gut Steinsperlinge beobachten lassen. 

Die Dolomiti Lucane verdanken ihren Beinamen «Dolomiti» den von Wind und Wetter charkteristisch geformten Sandsteinformationen, mit denen die Bergdörfer Castelmezzano und Pietrapertosa buchstäblich verwachsen sind. Hier, auf 1000 Meter ü.M., brüten in den steilen Felswänden auch Schwarzstörche. Arten wie Alpensegler, Felsenschwalbe, Kolkrabe, Turm- und Wanderfalke sind weitere Bewohner dieser Felslandschaft. Im Tal stehen die Chancen gut, in den Flussauen des Basento Schwarzstörche bei der Nahrungssuche beobachten zu können. Schlangenadler sind ebenfalls heimisch, und im angrenzenden Schwemmland sind Grau- und Zaunammer, Bienenfresser, Rotkopfwürger und Pirol anzutreffen. 

Artenreiche Wälder, bizarre Mondlandschaften

An der Grenze zu Kampanien liegt der 96 000 Hektaren umfassende Parco Nazionale dell‘Appennino Lucano. Grüne Wälder mit weichhaarigen Eichen, Hainbuchen und Eschen prägen das Bild der unteren Lagen, während in höher gelegenen Zonen Zerreichen und Mischwälder mit Buchen, Stecheichen, Ahorn und Weisstannen zu finden sind. Über der Waldgrenze dominieren steinige, von Hecken und Büschen bestockte Alpwiesen das Bild und in den steilen Partien bedecken Schutthalden die Bergflanken. Mit Steinrötel, Brachpieper, Zippammer, Mittelmeersteinschmätzer, Heidelerche, Schwarzkehlchen und weiteren Arten fällt die Liste beachtlich aus. Nicht weniger eindrucksvoll ist der unübersehbare Fleckenteppich der Frühlingsblumen. Die Calanchi della Basilicata, erodierte Lösshügel mit Runsen, Graten und Furchen, erinnern an eine imaginäre Mondlandschaft. In diesem Hügelland leben Vogelarten wie Kappenammer, Mittelmeerstenschmätzer, Brillen- und Weissbartgrasmücke, und im Gemäuer verlassener Höfe finden Blauracken geeignete Nistplätze. Im Mai, nach der Rückkehr aus dem Winterquartier, sind die akrobatischen Flugspiele dieser farbenprächtigen Vögel ein besonderes Spektakel.

 

I Fiumi

Die Talebenen der Flüsse Basento und Agri sind sich sehr ähnlich. Kleine Rinnsale wechseln ab mit reichlich wasserführenden Armen. Ausgedehnte Kies-, Schwemm- und Ruderalflächen, die durch Hochwasser immer wieder verändert werden, sind Lebensraum von Triel, Kurzzehenlerche, Bienenfresser, Orpheusspötter und anderen Arten. Den Flussläufen folgend gelangt man letztlich an die Küste des Ionischen Meeres. Auch hier, an der 40 Kilometer langen Küste, finden sich einige interessante Abschnitte mit unterschiedlichen Lebensräumen. Die Artenliste lässt sich hier, je nach Jahreszeit, entsprechend erweitern.

 

Die Basilikata: Noch unbekanntes Italien. Möge es den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser mehrheitlich unberührten Region gelingen, ihre Heimat im Rahmen eines umweltverträglichen und nachhaltigen Tourismus weiter zu entwickeln.