Machst du aus deinem Blog eigentlich einen Adventskalender? Die Frage kam für mich überraschend, so hatte ich das nicht im Sinn, aber warum eigentlich nicht? Die kleinen Geschichten, geborgen aus den Erinnerungen an eine Zeit, die schon lange zurück liegt, bringen mich auf andere Gedanken, setzen der Corona-Müdigkeit etwas Erbauliches entgegen.
Das Physikzimmer war weisser als weiss, richtig jungfräulich weiss. So weiss, weisser gehts, physikalisch gesehen, vermutlich gar nicht. Es scheint mir wichtig, dieses Weiss so zu schildern, damit dem spannendsten Teil der Geschichte die damit verbundene Dramatik zu Teil wird!
Wir, das heisst ich und meine Mitschüler und Mitschülerinnen, betraten also bewundernd das neu renovierte Physikzimmer. Malermeister Amman, Mitschüler Sämus Vater, hatte da ganze Arbeit geleistet. Nun gut, mit dem Eintreffen des Lehrers verstummten die Kommentare zum Weiss, wir waren ja schliesslich nicht hier, um Malermeister Ammans Werk zu begutachten. Wir waren für die Phsyikstunde in dieses Zimmer beordert worden.
Zu den Fächern Physik und Chemie hatte ich eher ein ambivalentes Verhältnis. Die Liste der chemischen Elemente war lang und das Auswendiglernen, jedenfalls für mich, eine Fortschreibung des Wortes lang, eine lang-weilige Sache.
In der heutigen Lektion waren, Gott sei Dank, keine Formeln und keine chemischen Symbole das Thema; heute war "Dampf" angesagt. Wir Knaben wussten natürlich um was es ging. Damals war die Definition und Zuordnung männlicher und weiblicher Eigenschaften und Neigungen, mindestens in den Köpfen der Männer am Stammtisch der Dorfbeizen frei von Zweifeln, da von Gott gegeben. Damit will ich nicht von der Physik zum Religionsunterricht wechseln, nein, ich wollte einfach sagen "Es isch e so gsy u fertig!"
Nicht ganz fertig war offenbar unser Lehrer mit der Unterrichtsvorbereitung, er musste noch irgend etwas holen. Eifrige und interessierte Schüler nutzen die Zeit in solchen Situationen für etwas Gescheites, dumme Schüler bauen nur Mist. Diese Einteilung in Gescheit und Dumm war schulpädagogisch so ziemlich unbestritten, wir Knaben konnten diese Formel aber kaum nachvollziehen. Der Lehrer liess sich Zeit. Zeit genug, so dass sich der Klassenbeste, unterstützt von zwei Freunden entschloss, seine selbstgebaute Dampfmaschine in Betrieb zu nehmen. Das war nicht etwa so eine kleine Spielzeugdampfmaschine der Marke Märklin, nein seine Maschine hatte einen Feuerraum, dessen Grösse nach mehr verlangte als nach ein paar Meta-Tabletten; da konnte man richtig einfeuern. Der Wasserkessel war entsprechend gross und massiv, eine echte Dampfmaschine eben.
Gespannt schauten wir andern den drei Dampfmaschinisten zu. Im Feuerraum loderte es und das Feuer forderte umgehend nach Brennholznachschub. Das mitgebrachte war schon fast verbraucht, das Wasser im Kessel aber noch nicht auf Dampftemperatur. Was jetzt? Brennholz war gefragt! Einer der drei Maschinisten - und hier beginnt der spannende Teil der Geschichte, verliess eilig das Zimmer und kehrte ein paar Minuten später mit dem Gesuchten zurück. Jetzt musste es schnell gehen! Es hiess das Holz, genauer gesagt, ein Ast des Holunderstrauches, der neben dem Schulhausmist ein eher darbendes Leben führte, über dem Knie in Stücke zu brechen und dann, rein ins Feuer damit! Das hatte Folgen. Die Maschine fing auf ihrem Sockel zu vibrieren an, Schwungrad, Kolben und Pleuel setzten sich in Bewegung, immer schneller, immer schneller, schneller als Mutters neue Nähmaschine! "Einfeuern, einfeuern!" rief einer, "los gibs ihr!" ein anderer. Alle schauten gebannt auf die Dampfmaschine, die sich auf dem Tisch langsam selbständig in Bewegung setzte und sich immer näher zum Tischrand hin bewegte. Die Maschinisten hielten das wildgewordene Teil beidhändig am Holzsockel fest. Langsam, für die Beteiligten wohl eine Ewigkeit, liess die Vibration nach und die Maschine kehrte in den Modus "Dienst nach Vorschrift" zurück.
Aber oh Schreck, was war denn das? Dem Kamin der Dampfmaschine entfloh schwarzer Rauch, der sich hochsteigend an der noch vor kurzem schneeweissen Decke niederschlug, als wollte er dem letzten Zweifler aufzeigen, dass zwischen Schwarz und Weiss halt doch eine erheblicher Unterschied bestünde.
Die Klasse teilte sich umgehend in drei Gruppen auf. Der ersten Gruppe, der kleinsten, bestehend aus den drei Maschinisten, war der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Ungläubig betrachteten sie die neu gestrichene, ehemals weisse Decke, die der Rauch in eine grauschwarze Fläche verwandelt hatte. Zur zweiten Gruppe gehörten diejenigen, die erwarteten, dass das unausweichliche Donnerwetter des Lehrers auch sie treffen würde. Aus dieser Gruppe kamen Vorschläge wie "Wasser in den Feuerraum.." oder "macht die Fenster auf!" usw.
Zur dritten Gruppe gehörte der Rest der Klasse, die den Zorn des Lehrers aus eigener Erfahrung kannten. Diesmal konnten sie sich entspannt zurücklehnen, sie waren ja unschuldig. Der Spruch des Tages kam denn auch aus dieser Gruppe. "Tolle Rauchkammer! Jetzt fehlen nur noch Speck, Schüfeli und Rippli!."
Das Ende der Geschichte? Fertig lustig! Mitgegangen, Mitgehangen! Malermeister Amman musste nochmals ran. Sämu, sein Sohn musste es richten! Kann mich nicht erinnern, ob wir einen Obulus an die erneute Renovation entrichten mussten.