18. Dezember 2021 > Papa erzähl mal.. Silberpapierschwäne und mehr..

Lang, lang ist es her. Die eigene Schulzeit ist für die meisten in vieler Hinsicht eine prägende Zeit und bleibt, ob man diese Lebensphase gut oder eher schlecht erlebt hat, im Gedächtnis haften. 

Im Kindergarten..

"Geisch i Gfätterlischuöu?" Auch wenn meine Erinnerungen an diese Zeit verschwommen daherkommen, ein paar Sachen sind noch vage präsent. Fräulein Jörg, so hiess unsere Kindergärtnerin, wurde als Fräulein angesprochen, weil Fräulein Jörg nicht verheiratet war. Eine unverheiratete Frau war damals ein Fräulein, so war das halt, wurde mir erklärt. Aber wie bei andern Sachen, gab es auch in dieser Beziehung keine Regel ohne Ausnahme. "Fräulein noch ein Bier" war die gängige Bestellung in der Beiz, auch wenn das "Fräulein" die bereits ins Alter gereifte Frau des Bannwartes der Burgergemeinde war. Diese Anrede störte damals vermutlich kaum eine Serviertochter, war sie doch meistens auch nicht zwingend die Tochter des Wirts. 

Fräulein Jörg war, soweit ich mich zurück erinnern kann, eine schlanke Frau mit dunklen Haaren. Sie machte mit uns, was man damals im Kindergarten landauf landab so machte. Spielen, Singen, Basteln, Schuhe binden und ab und zu ein Kinderfüdi oder eine Schnudernase putzen. In Erinnerung geblieben ist mir das musikalische Mittagsritual. Die Fingerchen, wie zum Gebet verschränkt, bildeten einen  Kirchenturm, ein Mittelfinger darunter hängend eine symbolische Glocke und wir Kinder sangen S elfi Glöggli lüütet scho, jetz isch Zyt zum Heimä goh. Ufem Waäg nid ume stoh und ou nid wienes Schnäggli goh. 

> Link zum elfi Glöggli

In der 1. Klasse..

Die Schnäggllizeit ging vorüber, die auf blauem Papier aufgeklebten Schwäne aus Silberpapier verschwanden aus dem Zimmer, denn jetzt ging es richtig los, jedenfalls war das die Meinung der Erwachsenen. "Fröisch die uf d"Schuöu? war die gängige Frage in der Zeit vor dem ersten Schultag.

Keine Ahnung, wer mir damals den Schultornister geschenkt hat, jedenfalls wollte ich einen, dessen Deckel mit Fell bezogen war. Ein schwarz-weisses Kuhfell oder ein braun-weisses war die Qual der Wahl. Im Dorf hatten die Bauern braun-weisse Kühe, also wollte ich solidarisch ein braun-weisses Fell, aber sicher eines mit "Chrüseli." Der Schultornister ist übrigens aus dem Armeetornister entstanden, der im Volksmund "Aff" oder "Haar-Aff" genannt wurde.

Das Etui mit Farbstiften, Bleistift, Gummi und den Ärmelschonern packte Mutter in das eine Fach des Schulsacks, das Butterbrot aus verständlichen Gründen in das andere. Etwas aufgeregt war ich vermutlich schon, an diesem ersten Schultag. Aber alles Neue wird schnell mal zum Alltag. Ich ging gerne in die Schule, ja es gefiel mir, vor allem wenn wir etwas zeichnen durften.

Fräulein Müller, so hiess die Erstklasslehrerin machte uns auf antroposophische Art mit dem Alphabet bekannt. Die Buchstaben mussten, eher durften wir, mit dem Körper, den Armen und den Beinen nachbilden, wobei ich noch weiss, dass der O und der I am einfachsten darzustellen waren. Lustig fanden wir das allemal, aber wie war das denn mit dem Q und dem S? 

In der 2. und 3. Klasse..

Der Sprung vom Erstgägeler zum Zweitklässler war doch ein erhabener Schritt. Wir waren nicht mehr die Kleinsten im Schulhaus, wir konnten das ABC auswendig aufsagen und durften mit den Drittklässlern auf dem Pausenplatz Fussball spielen. Was für ein Aufstieg.

Unsere Lehrerin war wieder ein Fräulein, offenbar heiraten Lehrerinnen nicht, war mein Rückschluss auf diese Feststellung. Fräulein Geiser, eine stämmige Frau, mit fülligen Armen unter kurzärmligen Blusen, langem Jupe, stets mit vorgebundener, mit Stickereien verzierter Leinenschürze, hätte mit ihren rot angehauchten Backen und den zu einem graumelierten Huppi geknoteten Haaren in jedem Bühnenstück von Gotthelf mitspielen können. Eine Lehrerin, wie aus einem Ankerbild. Und die beiden Schuljahre? Natürlich der Wechsel von Bleistift zu Tinte, von der Steinschrift zur Schnürlischrift, lernen ohne Müh, zwei Schuljahre ohne besondere Höhepunkte, die fanden in der Freizeit statt. Doch, da war doch noch die Geschichte von Rulaman! Wie konnte ich den beinahe vergessen!? Ihr kennt Rulaman nicht? Dann ungeniert auf den Link klicken..

> Link Rulaman Wikipedia

Der Sprung in die 4. und 5. Klasse..

Der Wechsel von der Unterstufe in die Mittelstufe. Ein Wechsel vom Fräulein Lehrerin zum Herr Lehrer.  Die Mittel- und Oberstufe war damals noch eine ausgesprochene Männerdomäne. Lehrer mit Kittel und Kravatte. Nun galt es ernst, in der 5. Klasse war die Prüfung für den Uebertritt in die Sekundarschule angesagt.

Unser Lehrer in der 4. und 5. Klasse hiess Herr Marti. Zwei aufregende und spannende Jahre. In den ersten beiden Bankreihen links sassen die Viertklässler, in den beiden Reihen rechts vor dem Lehrerpult die Fünftklässler. Ich weiss, ich wiederhole mich hier, aber das Löwen- und Eisbärenbild haben mich zwei Jahre  lang begleitet. 

 

Lehrer Marti war aber nicht nur ein excellenter Zeichner, er war auch ein Lehrer mit kreativen bis hin zu ausgefallenen Unterrichtsideen. Der Turnunterricht, mit Völkerball und Hallenfussball, nahm ab und zu ein tränendes Ende. Es waren Tränen der Wut, weil Lehrer Marti mit vollem Einsatz in der Mannschaft der 4. Klässler mitmachte und damit verhinderte, dass die 5. Klässler immer als Sieger vom Platz gingen. Unfair war das, ein Skandal sogar, konnten sich einige ereifern. Die hätten gegen uns nie gewonnen, uns nie abschiessen können, wenn dieser fiese Marti nicht das Gleichgewicht auf den Kopf gestellt hätte! Unfair, einfach unfair! Für einige Hitzköpfe war das nicht einfach, nach dem Turnen von Hundert auf normale Unterrichtstemperatur runter zu fahren. 

 

Eines Tages machte im Dorf die Neuigkeit die Runde, bei Lehrer Marti wohne jetzt eine junge Frau. Die sehe aus wie die Schwester von Brigitte Bardot, echt, keine Uebertreibung! Das Dorf hatte ganz neuartigen Gesprächsstoff. Es sei sicher eine Städterin, wahrscheinlich auch aus Bern oder so. Geschminkt und mit durchsichtigen Strümpfen habe man sie beim Bahnhöfli gesehen. Nylon-Strümpfe seien das, Nylon sei ein Kunststoff und eine Nylonfabrik gebe es bei Luzern erzählte man sich am Stammtisch im Bintli. Mein Vater liess es sich jeweils nicht nehmen zu erwähnen, dass er in dieser Fabrik nie arbeiten würde, denn dort gäbe es nämlich "Nie Lohn".

Lohn schien Lehrer Marti in den Augen der dörflichen Klatschtanten sicher genug zu bekommen, denn seine "Brigitte Bartod" steige nicht vor 9 Uhr aus dem Bett, die Duvets seien jedenfalls noch nie vor dieser Zeit auf dem Fenstersims gesehen worden. Und überhaupt, arbeiten gehe sie wahrscheinlich nicht, mit ihren roten Fingernägeln und in diesen Schuhen sei das ja wohl auch kaum möglich. Ich habe ihn gemocht, den Lehrer Marti. 

 

Zum Glück blieb Lehrer Marti bis zum Ende meiner 5. Klasse. Da stand nämlich die Sekundarschulprüfung an. Trotz leichtem Bauchweh ging die Prüfung für mich gut über die Bühne. Ich war erleichtert. Meine Mutter hatte ihren Anteil an diesem Erfolg. Mutter hatte sich immer sehr um meine schulischen Leistungen gekümmert, wenn nötig zusätzliche Lehrmittel gekauft. Dabei holte sie nach, was ihr selber in ihrer Schulzeit vergönnt war. Sie hatte erkannt, was für eine  Bedeutung eine gute Schulbildung für das spätere Leben haben wird. Wir haben beide, ich als Schüler, sie als Mutter, unsere Hausaufgaben gemacht. Es hat sich gelohnt!